Interview mit Michael Hengst
Veröffentlicht am 27.03.2001

Kultpower:
Hallo Michael. Erstmal vielen Dank dafür, daß Du für Kultpower.de dieses Interview mitmachst! Könntest Du Dich wohl kurz vorstellen und die Stationen Deiner beruflichen Laufbahn nennen?
Michael:
Ich heiße Michael Hengst, bin 1962 geboren (also ein alter Knacker in der Branche), ich bin verheiratet und habe eine Tochter. Zur beruflichen Laufbahn: Bevor ich anfing, meine Brötchen in der Spielebranche zu verdienen, habe ich einen richtig "soliden" Beruf erlernt und ausgeübt . Nach dem Realschul-Abschluss (fürs Abi war ich zu faul) im Jahr 1979 absolvierte ich eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann - Schwerpunkt Farben, Tapeten und Bodenbeläge. Danach werkelte ich bei einer großen Baumarktkette als Sachbearbeiter (strunzenlangweilig) und dann vier Jahre in einem Teppichbodenmarkt auf der grünen Wiese... nach dem Motto: "Darf's ein Meter mehr sein?". In so einem Laden lernt man die Menschen kennen... Unglaublich, aber leider wahr: Da war z.B. der Kunde, der - im Geschäft, wohlgemerkt! - seine Frau verdroschen hat, weil ihm der Teppich nicht gefiel, den sie ausgesucht hat. Oder einen Bankdirektor, der sich darüber aufgeregt hat, daß er bar bezahlen mußte ("Wissen Sie nicht, wer ich bin??"). Naja, nach vier Jahren hatte ich die Nase voll und habe dann neun Monate im Hamburger Softwareladen Spiele verkauft - das war echt Klasse. Denn gespielt habe ich schon immer gern. Seit einer unserer Nachbarn ein Heim-Pong vorm Fernseher stehen hatte...
Kultpower:
Wann und wie wurdest Du Redakteur bei der PowerPlay? Musstest Du an einem richtigen Vorstellungsgespräch teilnehmen? Oder war die Gründung der PowerPlay Deine Idee?
Michael:
Vorneweg: Nein, die Gründung der Power Play war nicht meine Idee - diese Ehre gebührt Heinrich Lenhardt und Boris Schneider. Die haben 1988 die Sonderheftreihe ins Leben gerufen, aus der dann die PowerPlay entstand. An den Job bei der PowerPlay bin ich mehr durch Zufall gekommen - lange Geschichte . 1987 habe ich mit einem Kumpel zusammen das Infocom-Adventure "Starcross" gespielt, bis wir an eine Stelle gelangten, an der wir partout nicht weiterkamen. Naiv wie ich war, habe ich damals bei der Happy Computer angerufen und wollte einen Spieletip - versuch das mal heute bei einer Redaktion. Statt mich abzuwimmeln, beantwortete Anatol Locker meine Frage geduldig. Am nächsten Tag habe ich noch mal angerufen und mich für den Tip bedankt - Anatol war baff, daß sich ein Leser bedankt, und so blieben wir telefonisch in Kontakt. Dann habe ich die Komplettlösung für "Dungeon Master" an die Redaktion geschickt, und die haben die gleich abgedruckt - wenn ich die heute lese, wird mir ganz anders - stilistisch war die Lösung eher tragisch, aber ich hatte in der Schule eh nie die tollsten Deutschnoten ;-) Na ja, Ende 1988 rief mich Anatol (trotzdem) an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, Redakteur zu werden - ich wurde von Anatol und dem damaligen Redaktionsdirektor zum Interview geladen und machte mich auf nach München. Also so richtig mit Bewerbungsgespräch... Der Rest ging dann ganz schnell, und sechs Wochen später zog ich mit Sack und Pack nach München - am Silvesterabend!
Kultpower:
Was war damals Deine Motivation dafür, Redakteur einer Spielezeitschrift zu werden? Immerhin kann man nicht gerade behaupten, daß bei der Entstehung der PowerPlay Computerspiele weit verbreitet waren...
Michael:
Oha! Die Motivation? Hmmm... wie wäre es damit: Den ganzen Tag spielen, immer die neuste Software auf den Tisch bekommen und auch noch Geld dafür kriegen? Und was heißt, Computerspiele waren nicht weit verbreitet? Nach heutigen Maßstäben sicher nicht, aber für die damaligen Verhältnisse war das schon ein ordentlicher Markt- sonst hätte es ja das Heft nicht gegeben! Aber stimmt schon - der Markt war kleiner, überschaubarer und vor allem familiärer. Damals konnten zwei, drei Hanseln in der Garage in sechs Monaten einen Superhit programmieren, heute brauchst Du 50 Leute, vier Jahre und 20 Millionen Dollar...
Kultpower:
Bis wann hast Du für die Powerplay gearbeitet, und wie kam es zum Ende Deiner Powerplay-Karriere?
Michael:
Ich habe von 1989 bis Anfang 1995 bei der PP und der VideoGames gearbeitet. Aufgehört habe ich aus Frust über die Verlagsleitung. Monatelang hat die Redaktion Änderungswünsche und Verbesserungen am Heft geplant und immer wieder präsentiert. Dummerweise wurden alle Vorschläge abgeblockt - oft mit recht fadenscheinigen Begründungen. Da habe ich dann - ziemlich genervt - das Handtuch geworfen. Außerdem wollte ich einfach mal die andere Seite sehen. Nach einer kleinen Pause von knapp zwei Jahren in der Softwareindustrie habe ich dann im November ´96 wieder angefangen - in der naiven Hoffnung, doch noch was ändern zu können, aber da war es eh schon zu spät für die Rettung der PP. Dann wurde der Verlag gekauft, und die neue Ausrichtung gefiel mir überhaupt nicht.
Kultpower:
Erinnerst Du Dich noch an deinen ersten Testbericht für die PowerPlay?
Michael:
Einer meiner ersten Tests für die PowerPlay war "Dragon´s Lair" für den Amiga - schlappe 40 Punkte und ein "4er"-Gesicht ("Na ja")... Dafür durfte ich zum Ausgleich in der gleichen Ausgabe (3/89) das Rollenspiel "Legend of Blacksilver" testen - 80 Punkte und ein "Gut"! Ich weiß noch, daß ich am Anfang beim Testen immer ein schlechtes Gewissen hatte - ich dachte, daß jeden Moment irgendeiner kommt und mich anbrummelt, weil ich da saß und spielte ;-)
Kultpower:
Habt Ihr in der Redaktion der Powerplay das "Konkurrenzblatt" ASM gelesen und dessen Entwicklung beobachtet? Wie fandet Ihr die ASM?
Michael:
Klar haben wir damals auch die ASM gelesen - wie die Kollegen auch die PowerPlay. Außerdem glaube ich, daß wir uns mit gesundem Respekt begegnet sind - auch wenn wir, wie heute die Magazine auch, nicht unbedingt immer einer Meinung waren und einige Sachen bei den Kollegen zum Schreien fanden.
Kultpower:
Welches Computerspiel hat Dich rückblickend am meisten fasziniert?
Michael:
Hmm... schwierige Frage. Es gibt ein paar Spiele, die mich wirklich nachhaltig beeindruckt haben. Aber wenn ich nur eines aussuchen kann, würde ich sagen "Dungeon Master" für den Atari ST. Ich habe bei ausgeschaltetem Licht vor dem Monitor gesessen und bin jedes Mal zusammengezuckt, wenn plötzlich eine Mumie seufzte. Aber wie gesagt: Das ist nur ein Spiel von einer ganzen Reihe, die ich extrem gut fand!
Kultpower:
Auf welches angekündigte Spiel mußtet Ihr in der Redaktion der PowerPlay am längsten warten?
Michael:
Oh, da gibt's einige: Das Spiel, auf das ich am längsten gewartet habe, war "The Bard's Tale 4" - darauf warte ich nämlich noch heute. Ich hatte das Spiel bei EA vor Ort gesehen, und nach ein paar Monaten haben die es komplett eingestellt.
Kultpower:
Von welchem Spiel warst Du am schwersten enttäuscht?
Michael:
Keine Frage: "Elite 2". Knut (Gollert) war extra drüben in England und hat sich das Spiel ausgiebig vor Ort angeschaut. Er war hellauf begeistert und voll des Lobes. Gegen meinen Widerstand - ja ja, die Basisdemokratie - gab´s eine 90er Wertung. Dafür haben wir nicht nur von Lesern jede Menge Schelte eingesteckt.
Kultpower:
Hast Du das Ende der PowerPlay als Zeitschrift mitverfolgt? Aus welchen Gründen konnte sich die PowerPlay aus Deiner Sicht letztendlich nicht am Markt halten?
Michael:
Klar habe ich das Dahinsiechen der PP mitverfolgt. Aber meiner Meinung nach war das Ende nicht abzuwenden. Die eigentliche Ursache liegt viel weiter zurück: Im Grunde starb die Power Play schon 1994/1995. Da sich die damalige Verlagsleitung außerstande sah, Verbesserungsvorschläge und Erweiterungen für die PP zuzulassen, wurde - meiner Meinung nach - schon damals das Grab geschaufelt. Das war auch einer der Gründe, warum ich mich dann entschlossen habe, zu gehen.
Kultpower:
Hat sich die Qualität von Computerspielen in den letzten Jahren Deiner Meinung nach geändert? Siehst Du einen Mangel an innovativen Spielkonzepten?
Michael:
Generell würde ich sagen, daß die technische Qualität natürlich deutlich gestiegen ist. Wenn ich mir heute allein die Grafik anschaue, wird mir schwindelig - das ist wirklich phänomenal. Inhaltlich vermisse ich hingegen die wirklich innovativen Konzepte - aber mal ehrlich, ist das wirklich so schlimm? Entscheidend ist doch immer noch, ob das Spiel Spaß macht oder nicht. Da interessiert es mich heute eigentlich kaum, ob´s das Spielprinzip schon vor zehn Jahren gab oder nicht. Fesselt mich das Spiel, ist es toll gemacht, habe ich eine gute Zeit? Das ist wichtig!
Kultpower:
Welche Computerspiele spielst Du heutzutage? Bist Du immer noch ein begeisterter Rollenspieler?
Michael:
Ich spiele nicht mehr ganz so viel wie früher - das liegt natürlich auch ein bißchen an der Familie und am Beruf. Meine Tochter ist jetzt 14 Monate alt und beansprucht meine spärliche Freizeit doch erheblich ;-) Ansonsten liebe ich immer noch Rollenspiele (oder Actionrollenspiele) und Strategie/Taktik-Programme wie z.B. "Diablo 2", "Wizards & Warriors", "Final Fantasy", "Commandos", "Advanced Military Commander 4".
Kultpower:
Viele sehen in der PowerPlay das kompetenteste Spielemagazin, das es je gegeben hat. Wie beurteilst Du die Qualität aktueller Spielemagazine?
Michael:
Ich glaube, daß ein Magazin immer nur so kompetent ist wie seine Redakteure. Und natürlich haben wir auch einige dicke Patzer auf dem Kompetenzkerbholz, wie beispielsweise "Elite 2" - ob wir also das "kompetenteste" Magazin waren, das es je gab? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich glaube, daß dies ein "Gefühl" ist, das auch deutlich mit der damaligen Zeit zusammenhing. Der Markt war kleiner, der Konkurrenzkampf nicht so stark wie heute.
Kultpower:
Erkennen Dich die Leute auf der Straße wieder? :-)
Michael:
Ja! Passiert mir häufiger. Z.B. auf dem Flughafen. Ich hatte schon einen Polizisten an der Passkontrolle, der mich angrinste. Als ich ihn verwirrt fragte, ob mit meinem Ausweis was nicht in Ordnung sei, antwortete er: "Ich kenn Dich noch aus alten Power Play-Tagen".
Kultpower:
Hast Du noch Kontakt zur "alten PowerPlay-Familie" (Boris Schneider, Heinrich Lenhardt,...) ?
Michael:
Wenig. Die meisten sind eh in alle Winde verstreut und machen ihr eigenes Ding. Mit Martin Gaksch (ehemaliger Chefred. - heute Maniac!) habe ich erst kürzlich telefoniert.
Kultpower:
War Dir (bevor Du Kultpower.de kanntest) bewußt, daß es auch heute noch wahre Powerplay-Fans gibt?
Michael:
Ehrlich gesagt: Nein! Ich hatte keine Ahnung, daß es noch so viele echte Fans gibt. Ich finde eure Seite echt klasse und bin begeistert, daß die "guten alten Zeiten" nicht so einfach vergessen sind.
Kultpower:
Als Amiga-Freak würde mich interessieren, was Du von der Entwicklung bei Amiga hältst. Meinst Du, das plattformübergreifende neue AmigaOS wird sich auch nur ein wenig auf dem Markt behaupten können?
Michael:
Nein, glaube ich nicht. Die Übermacht von PC- und Konsolensystemen wie PSX2, X-Box usw. ist einfach zu groß. Die Zeiten von Amiga und auch anderen Systemen ist definitiv vorbei - selbst wenn es "nur" um das Betriebssystem geht.
Kultpower:
Was für Rechner (insbesondere von früher) besitzt Du heute noch?
Michael:
Das sind leider nicht mehr so viele: C64, Atari ST (512er), Atari Mega ST, Master System, NES, PC-Engine, Turbo-Duo, Mega Drive, Mega CD, Saturn, SNES, GameBoy... aber die sind eigentlich alle eingemottet und liegen auf dem Dachboden oder bei mir in der Firma (neben den ganzen alten Spielen.)
Kultpower:
Was machst Du heute beruflich, und was sind Deine Ziele für die nächsten Jahre?
Michael:
Ich habe seit über drei Jahren meine eigene Firma (mit drei anderen zusammen). Die Firma nennt sich "Das Trickwerk", und wir machen z.B. Lösungsbücher für Eidos oder Nintendo. Außerdem machen wir sehr viele "Pressehefte" - also Erstellung und Gestaltung von Pressematerial für Spiele - z.B. für Vivendi Universal (ehemalig Havas). Außerdem haben wir ein eigenes Test-Magazin für DVDs (so ganz ohne Verlagstätigkeit geht's halt nicht), und zwar die "DVD-Home". Wie in guten alten Zeiten testen wir hier Software - zwar keine Spiele, aber Filme, die auf DVD erscheinen. Das Heft (so viel Eigenwerbung muß sein) gibt's an ausgewählten Kiosken oder direkt beim Trickwerk. Ansonsten haben wir letztes Jahr versucht, ein Spiele-Entwickler-Heft zu machen - für zwei Ausgaben machten wir die deutsche Lizenzausgabe des "Game Developer". Das Echo war super, nur war die Industrie noch nicht bereit, das Heft finanziell mit Anzeigen zu stützen. Also mußten wir es wieder einstampfen. Schade, schade.
Kultpower:
Michael, nochmal vieeeelen Dank für Deine interessanten Antworten! Ich freue mich echt riesig, daß Du dieses Interview mitgemacht hast!

debug